Alexander Aczel

Tracht und Tradition

Wie viel TRADITION steckt eigentlich noch in der heutigen TRACHT? Welche Elemente sind authentisch? Und gibt es überhaupt eine „originale“ Tracht? Viva Monaco auf der Suche nach Antworten.

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TEXT: ALICA MARR

Tracht und Tradition „In München steht ein Hofbräuhaus, doch Freudenhäuser müssen raus…“, schallt es durch das Bierzelt. Junge Frauen und Männer hüpfen ausgelassen auf den Bänken und grölen den Songtext mit, ältere Herren sitzen gemütlich bei Radi, Brezn und Maß. So divers das Publikum, so unterschiedlich die Outfits: Auf demgrößten Volksfest der Welt gibt es einiges an textilen Kuriositäten zu bestaunen. Filzhüte mit tanzenden Hendlkeulen obendrauf oder Plastik-Dirndl in Schalke 04 Farben aber auch wunderschöne, teils handgearbeitete Trachten.

Frauen tragen fesche Dirndl mit tiefen Ausschnitten und Glanzstoffen in leuchtenden Farben, die Herren schillernde Gilets und manchmal sogar wunderschöne, authentische Krachlederne, Gamsbärte und Charivaris. Das sieht toll aus, keine Frage aber wie viel Tradition steckt eigentlich noch in den heutigen Trachten? Welche Elemente sind noch „original“? Und gibt es überhaupt eine „originale“ Tracht? Dr. Katharina Weigand, Historikerin der Universität München sagt: „Wahrscheinlich hat es nie eine urwüchsige, vom Volk ausgehende Tracht gegeben. Es ist eher so, dass die Mode an den Höfen langsam zum Volk durchsickerte und sich dort weiterentwickelte.“ Ein Beispiel: das aufwendig gefertigte, langärmelige Mieder der Miesbacher Frauentracht, der „Schalk“, war ursprünglich das Oberteil der feinen Bürgers-frau um 1890. Wandelte sich die Mode, so wandelte sich die Tracht. Die Bauern wollten Teil der großen Welt und ihres Fortschrittes sein. Reiste die Fürstin zu Schaumburg-Lippe nach Paris und kam zurück in modischen, aufregenden Kleidern, so sah man bald Elemente der aktuellen Couture in den Trachten der reichen Bauersfrauen adaptiert. Festtagsgewänder unterliefen auf sehr kreative Weise die gängige Kleiderordnung: Wer keine Seide tragen durfte, bepinselteLeinen mit Leim, bis es glänzte. Dieser stetige Wandel und Ideenreichtum sind in der heutigen Trachtenmode erhalten geblieben, genauso wie einige Grundelemente: Dirndl bestehen noch immer aus Mieder, Rock und Schürze. Kennt man sich aus, kann man an letzterer erkennen, wo ein „Gau“ herkommt, weiß Gabriele Hammerschick, Trachten-expertin bei Lodenfrey München. So tragen die Isartaler hellblaue Schürzen und die Münchner goldene. Bindet man die Schleife hinten, ist man entweder Kellnerin, Witwe oder noch ein Kind, bindet man sie vorne, ist man Jungfrau. Rechts bedeutet vergeben und links meint: „Versuch dein Glück und sprich mich an!“ Dieser bayerische „Code“ ist allerdings erst zu späteren Zeiten entstanden, denn die Schürzen der Bauersfrauen zur Barockzeit wurden meist nicht mit Bändern, sondern seitlich mit einem Knopf geschlossen: Praktisch musste es schließlich sein, man wollte bei der Haus- und Feldarbeit nicht hängen bleiben! Ganz ähnlich verhält es sich mit der Lederhose, auch die musste damals vor allem robust sein. Für die ersten Modelle wurde Ziegen- oder Rindsleder verwendet, denn die Jagd auf Wildtiere wie Hirsche war lediglich höheren Ständen vorbehalten – Maximilian l. Joseph und der österreichische Kaiser Franz Joseph waren beide dafür bekannt, in aufwendig bestickten Hirsch-ledernen zur Jagd zu reiten. Auch dieser Trend sickerte langsam zum Volk durch und die Lederhosen wurden vermehrt aufwendig verziert. Heute sehen wir vor allem grüne und gelbe Stickereien.

Trachtenexperte Johann Maurer von Lodenfrey München erzählt, dass die Farbe Blau ebenfalls lange Zeit dem Adel vorbehalten war und somit zunächst keinen Weg in die Volkstracht fand. Zum Ausgleich hatten die reichen Bauern aber eigene Ideen, wie sie ihren Status zur Schau stellen konnten: Sie begannen, Trophäen an Uhrenketten zu hängen. Jemehr Münzen und seltene Jagdanhänger am Charivari baumelten, desto reicher der Bauer. Besonders beliebt waren die sogenannten „Kümmerlinge“, die Spitzen deformierter Geweihe. „Je verdrehter und eigentümlicher in der Form, umso wertvoller“, so Maurer. Das Charivari durfte selbst in finanziellen Nöten niemals verkauft werden, das war Ehrensache. Man vererbte es über Generationen weiter.

Fakt ist, Dirndl, Lederhosen, Gilets und Gamsbärte machen Spaß und ver- binden Tradition mit Zeitgeist. Dorothea Brenner vom Trachtenmuseum Pfullin- gen sagt: „So etwas wie Originaltrachten gibt es nicht – es gibt lediglich die Tracht in einer bestimmten Region zu einer bestimmten Zeit.“ Ende des 19. Jahrhun- derts, als sich Trachtenträger erstmals zu Vereinen zusammenschlossen, trug man Kleidung in verschiedensten Farben, un- terschiedliche Joppen, Hüte und Strümpfe. Das einheitliche Erscheinungsbild der „Oberlandler“, „Innthaler“, „Chiemgauer“ oder „Berchtesgadener“ Tracht, kam erst später: Die Vereine wollten bei Festlich- keiten ein geschlossenes Bild abgeben! So unterschiedlich das überlieferte „Gwand“ ist, haben die Trachtler doch alle etwas gemeinsam: Die Liebe zum Brauchtum und ihrer Heimat, wie Ludwig Ganghofer schrieb: „Wen Gott lieb hat, den lässt er fallen in dieses Land.“

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