Der Stadtspaziergang

Günter Steinberg ist Wiesn-Wirt des Hofbräu-Festzeltes und Urgestein der Münchner Gastromonie. Während unseres „Stadtpaziergangs“ spricht er über seinen Glauben, 37 Jahre Oktoberfest und verrät, warum er immer eine Münze in der Tasche hat

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Hofbräukeller, Wiener Platz

12 Uhr mittags auf der Terrasse des Hofbräukellers am Wiener Platz, Herr Günter Steinberg begrüßt mich im eleganten, farblich perfekt abgestimmten Trachten-Outfit. Es ist ein lauwarmer Spätsommertag – noch vier Wochen bis zur Wiesn. Es wird seine 37. als Wirt des Hofbräu-Festzeltes werden, dem Zelt mit der Krone auf dem Dach und dem schwebenden Aloisius über der Festmenge. Leicht gebräunt mit blitzblauen Augen sitzt er mir gegenüber und wirkt recht entspannt, obwohl die Vorbereitungen für das Oktoberfest im vollen Gange sind. „Mit der Zeit hat man sich eine gewissen Routine zugelegt. Wir sind eigentlich das ganze Jahr mit diesem Fest beschäftigt. Da ist der Endspurt auch nicht viel anders als die Zeit davor.“ Viele seiner Mitarbeiter arbeiten seit 30 Jahren gemeinsam mit ihm auf der Theresienwiese. Da sei man schon wie eine Familie. Das mache es auch leichter. „Jetzt trinken wir aber erst einmal was.“

Ich frage Herrn Steinberg, wie es damals dazu kam, dass er Wiesnwirt wurde. Das sei eine längere Geschichte. Ich entgegne, dass ich Zeit hätte. Günter Steinberg kam erst mit 31 Jahren zur Gastronomie. Zuvor hatte er einen Laden für Fotoapparate, den er von seinem Vater übernommen hatte. Dann lernte er seine Frau Margot kennen, die Tochter des Wienerwald-Gründers Friedrich Jahn. Dieser bot ihm einen Job in seinem Unternehmen an. „ Ich musste mich also zwischen Fotoapparaten und Hendln entscheiden. Ich habe letzteres gewählt und es niemals bereut.“

Der Kontakt zur Hofbrauerei ergab sich zwangsläufig. 1980 wurde ihnen die Leitung des Hofbräu-Festzeltes angeboten, vor 21 Jahren folgte dann der Hofbräukeller. Seine beiden Kinder Silja und Ricky sind mittlerweile die Pächter und nehmen den Eltern vieles ab, aber Herr Steinberg Senior könnte niemals stillsitzen und die anderen machen lassen. Die Gastronomie ist sein Leben, das spürt man gleich. Wenn er davon erzählt, strahlt sein ganzes Gesicht. Er liebt es, mit Menschen in Kontakt zu sein, von Tisch zu Tisch zu gehen und zu fragen, ob alles recht ist. Zurück zu seinem Lebensweg. Nach einer Weile im Betrieb seines Schwiegervaters bot dieser ihm an, sich um alle Wienerwald-Filialen im Ausland zu kümmern. Eine tolle Chance, die aber auch Entbehrungen mit sich brachte: Er war ständig unterwegs und sah seine Familie zu selten. Margot Günter erzog die beiden Kinder praktisch allein, die beiden entfremdeten sich, die Ehe bröckelte.

„Heute dagegen“, sagt er, „ist es schöner als je zuvor“. Natürlich muss ich fragen, wie die beiden das geschafft haben. „Uns hat eigentlich der christliche Glaube wieder zusammengebracht.“ In dieser Ehekrise habe sich Frau Steinberg mit unterschiedlichen Philosophien und Glaubensansätzen beschäftigt, um neue Kraft zu finden. So wurde der christliche Glaube auch Thema, dem sie sich schließlich sehr nah fühlte. Dem neuen Lebensweg seiner Frau skeptisch gegenüber eingestellt, ließ sich Herr Steinberg dennoch auf ein gemeinsames christliches Eheseminar ein, das sowohl die Beziehung zueinander als auch ihr Leben grundlegend ändern sollte. Das war 2002. Seitdem tauschen sich die beiden täglich über Psalmen und Bibelstellen aus, die sie jeden Morgen miteinander diskutieren. „Wenn ich auf etwas im Leben eine Antwort suche, dann lese ich in der Bibel. Sie begleitet mich ständig.“ Margot und Günter Steinberg feiern in drei Jahren ihre goldene Hochzeit. Beeindruckt von Herrn Steinbergs geöffnetem Herzen, will ich eigentlich lieber daran anknüpfen und noch tiefer einsteigen. Aber wir haben noch einiges auf dem Programm.

Nun aber los, wir wollen ja Herrn Steinbergs Lieblingsorte in München besuchen.

unbenannt - Der Stadtspaziergang mit Günter Steinberg

Wiener Platz

„Hier gibt es so viele schöne Platzerl, da ist es schwer, seinen Lieblingsplatz zu benennen, aber rund um den Wiener Platz mit seinen kleinen Häuschen ist es schon besonders nett.“ Herr Steinberg ist hier im Osten der Stadt aufgewachsen. Geboren in München, wurde er in Kriegszeiten als Kind im Alter von vier Jahren evakuiert und zu Verwandten in die Nähe von Ansbach gebracht. Sein Vater kehrte erst fünf Jahre nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft zurück. So sah Herr Steinberg seinen Vater das erste Mal bewusst mit elf Jahren – ein prägendes Erlebnis.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde er allein von seiner Mutter und der Großmutter aufgezogen, die ihn „nach Strich und Faden verwöhnten“. Dann begann die Zeit mit einem vom Krieg gezeichneten und strengen Vater. Sie lebten wieder in München, zunächst in der Schneckenburger Straße in Haidhausen, aber blieben auch später in der Gegend. Vom Wiener Platz aus geht Herr Steinberg gern im Viertel spazieren. Wenn er dem Alltag im Hofbräukeller entkommen will, dann setzt er sich auf „ein Bänkchen und raucht einen krummen Hund“, eine seiner Zigarren. Er zeigt uns einige der entzückenden Häuschen um den Wiener Platz, die auf seiner Spazierroute liegen. In der Mitte des Platzes steht der Fischerbuberl-Brunnen, der ursprünglich am Viktualienmarkt stand und dem Bau der Schrannenhalle weichen musste.

Haidhausen habe sich in den letzten Jahren sehr zum Positiven hin entwickelt. Viele Kreative seien hier ansässig, kleine neue Läden machen auf. Herr Steinberg erklärt mir, dass hier einst viele Brauereien ansässig waren. Um das Bier kühl zu lagern, nutzten sie die hügelige Landschaft der Gegend, um Schächte in den Berg hineinzubauen – deshalb auch der Name Hofbräu„keller“.

Heute sind diese Kellereien zugeschüttet und nicht mehr begehbar. Die Art, wie er erzählt, hat diese beruhigende Weise eines Geschichtenerzählers. Wir spazieren weiter die Isar hinunter, Herr Steinberg stets darauf Bedacht mir bei einem Hindernis behilflich zu sein oder mich über die Straße zu begleiten – ein sehr aufmerksamer Herr der alten Schule. Warum bekommen das die Jüngeren nicht mehr hin? „So jetzt gehen wir zum Landtag.“ In einem erstaunlich zackigen Tempo geht es weiter.

Landtag, Maximilianeum

Das Maximilianeum ist auch eines meiner Lieblingsplätze in München, weil man von hier aus einen der raren Blicke auf die Stadt ergattern kann. Ich kenne es nur von außen, drinnen war ich noch nie. Herr Steinberg ist häufiger hier und wir dürfen einen Blick hineinwerfen. Er ist recht gut bekannt mit der Landtagspräsidentin Barbara Stamm und hier öfter auf Empfängen eingeladen. Außerdem haben die Steinbergs auch die Gastronomie im Landtag früher geleitet. Ich staune über die gigantischen Gemälde und gehe ganz ehrfürchtig durch die kunstvoll gestalteten Kassettentüren. Das ist schon ein sehr besonderer Ort. Als wir die Halle mit der großen Fensterfront betreten, erwartet uns ein atemberaubender Blick auf die Maximilianstraße und die Frauenkirche.

Da das Gebäude normalerweise nicht zugänglich ist, empfiehlt Herr Steinberg als Alternative den Friedensengel für einen Spaziergang mit Ausblick auf München. Diesen hier werde ich jedenfalls nicht so schnell vergessen.

Hofbräu-Zelt, Theresienwiese

Wir betreten die riesige Baustelle des Hofbräu-Zeltes. Der Bau ist schon recht weit vorangeschritten, die Empore für die Band steht schon, der Aloisius- Engel hängt auch bereits inmitten der Halle. Es duftet nach frischem Holz. Was mir am besten am Hofbräu-Zelt gefällt, ist der frische Hopfen, der jedes Jahr die Decke schmückt – wie ich erfahre, eine Idee von Herrn Steinberg. Er erzählt, dass dafür 1000 Reben auf einem Feld in der Holledau reserviert sind, die mit großen Lastzügen kurz vor der Eröffnung angekarrt und von den Hopfenbauern aufgehängt werden. Am Ende seien dann immer noch Kleinigkeiten zu tun, die dann erst kurz vor knapp erledigt werden können. „Es ist tatsächlich oft so, dass hinten die Handwerker rausgehen und vorn die ersten Gäste reingehen“, erzählt Herr Steinberg lachend.

Alle Arbeiter auf der Baustelle freundlich grüßend, führt er mich durch das Zelt mit dem Stolz eines Hausbesitzers, der sein neues Heim präsentiert. Ich frage ihn, wie die Wiesn denn früher war. Er sagt, dass es früher viel ruhiger zuging. Vor 30 Jahren habe kaum jemand Tracht getragen und erst am ersten Donnerstag sei es so richtig losgegangen. Um tagsüber auch ein bisschen Leben ins Zelt zu bekommen, habe er sich in diesen Zeiten eine Gulaschkanone von der Bundeswehr ausgeliehen und einen Koch Eintöpfe kochen lassen. Und er findet, dass die Wiesn viel jünger geworden sei. Da müsse man ein bisschen aufpassen, dass die Wiesn nicht nur noch eine riesige Disco würde. Das Hofbräu-Festzelt hatte einst aufgrund seiner weltweiten Bekanntheit eine Zeit lang den Ruf, von feierwütigen internationalen Gästen, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, aufgesucht zu werden, die gerne mal über die Stränge geschlagen haben. Anfang der 80er-Jahre habe er deshalb beinah seine Lizenz verloren, weil eben diese nicht davon abzubringen waren, auf den Tischen zu tanzen. Stehtische im Innenraum, an denen die Gäste sich so bewegen konnten, wie sie wollten, waren die Lösung. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt und das Zelt ist so viel oder wenig wild wie jedes andere.

Herr Steinberg zeigt mir den zukünftigen Kassenraum und das sogenannte Stüberl, eine Art Backstage“-Raum für besondere Gäste und Freunde, die sich dort zurückziehen können. Franz Josef Strauß saß oft hier und tagte mit seinen Kabinettskollegen. Es kam schon einmal vor, dass der Politiker kein Ende finden wollte und Herr Steinberg ihn gegen 2 Uhr galant auf die Uhrzeit  aufmerksam zu machen versuchte. „Wir mussten dann unsere Abrechnungen auf dem Schoß machen, weil der Tisch immer noch belegt war. Zu fortgeschrittener Stunde, nickte der Franz Josef auch schon einmal weg, die anderen redeten einfach weiter. Wenn dann aber einer etwas sagte, was ihm nicht passte, dann war er wieder hellwach.

Er war schon eine Marke. Ich habe sehr viel Nettes mit ihm erlebt“, sagt Herr Steinberg liebenswürdig und man kann sich die beiden lebhaft zusammen vorstellen. Für ihn hielten die Steinbergs immer Bocksbeutel vom Würzburger Juliusspital bereit, seinem Lieblingswein. Ob er nach 37 Jahren Oktoberfest nicht müde sei?

„Am Anfang der Wiesn freut man sich darauf, in der Mitte wäre man froh, wenn sie so langsam wieder vorbei ist und am Ende, wenn das letzte Lied gespielt wird, da musst du aufpassen, dass dir nicht die Tränen kommen.“ Welches denn traditionell das letzte Lied im Zelt sei, frage ich. Zuerst komme der Gefangenenchor aus Nabucco, das wünsche er sich jedes Jahr. „Danach gehen die Lichter aus und die verteilten Sternwerfer an und die Bayernhymne wird gespielt. Das hat schon etwas Magisches. Das Gefühl, so ein Fest mit auszurichten, kann man gar nicht beschreiben. Ich liebe einfach die Atmosphäre.“

Unser unterhaltsamer Stadtspaziergang neigt sich dem Ende zu. Dabei höre ich dem charmanten Herrn mit der bewegten Lebensgeschichte so gerne zu. Draußen scheint mittlerweile die Sonne. Herr Steinberg holt etwas aus seiner Jackentasche: Es ist eine Silbermünze, auf der einen Seite befindet sich das Porträt von Kaiserin Maria Theresia und auf der anderen das Wappen der k. u. k.-Monarchie. Er schenkt sie mir mit den Worten, dass ich mir die Kaiserin als Vorbild nehmen dürfe – weil sie 16 Kinder zur Welt gebracht habe. Er freut sich über seinen Witz und über meine Verblüffung. Ich frage ihn, woher er denn diese Münze gezaubert hat, und er erklärt mir, dass sein Schwiegervater stets so

eine Münze bei sich hatte, um Menschen, die er schätzte, eine Freude zu machen. Kurz vor seinem Tod bat Herr Steinberg ihn darum, diese Tradition weiterführen zu dürfen. Er fand es so eine so nette Geste. Das finde ich auch und bin ganz gerührt. Herr Steinberg spricht mit viel Wärme über Herrn Jahn, vor dem er offensichtlich großen Respekt hat: „Er war der großzügigste Mensch, den ich kenne.“ Herr Steinberg scheint ihm aber darin in nichts nachzustehen. Ich werde die Münze als Talisman nun bei mir tragen.

Text: Annekatrin Meyers
Fotos: © Stefan Giesinger

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