Vom bäuerlichen Arbeitsgewand zur Modeikone: Kaum ein Kleidungsstück verkörpert regionale Identität, nostalgische Projektion und kreativen Eigensinn so intensiv wie das Dirndl. Unter dem Titel „Tradition goes Fashion“ widmet das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg dieser facettenreichen Textilie nun eine umfassende Sonderausstellung, die auf über 1000 Quadratmetern nicht nur mehr als hundert verschiedene Modelle präsentiert, sondern auch deren kulturelle Bedeutung, politische Vereinnahmung und gestalterische Transformationen sichtbar macht. Der Streifzug beginnt im 19. Jahrhundert, als sich nach dem Wegfall ständischer Kleiderordnungen erstmals eine neue modische Freiheit zwischen Stadt und Land entwickelte. In dieser Zeit formierte sich das Dirndl als regionales Kleidungsstück mit klaren Schnittmerkmalen und einem Selbstverständnis, das zwischen Alltag und Repräsentation oszillierte.






Der Mythos von der unberührten Landidylle wurde durch die Sommerfrische des städtischen Bürgertums befeuert, das das Dirndl als Ausdruck einer romantisierten Naturverbundenheit für sich entdeckte. Es war die Epoche der touristischen Postkartenmotive, alpinen Bühnenwelten und modischen Adaptationen, in der das Dirndl zum Symbol einer inszenierten Authentizität avancierte – und damit zugleich den Boden für seine spätere mediale Popularisierung bereitete. Theaterproduktionen, Filmerfolge und die Trachtenbewegung trugen dazu bei, dass das Dirndl als weibliches Pendant zur Lederhose endgültig in der kollektiven Vorstellung verankert wurde. Auch ideologische Überformungen hinterließen Spuren: In der NS-Zeit wurde das Dirndl systematisch normiert und zur volksgemeinschaftlichen Uniform erklärt, deren gestalterische Prinzipien nach dem Krieg paradoxerweise die Basis für neue, stilisierte Varianten bildeten. Mit dem Heimatfilm, spätestens aber mit Romy Schneider in den „Sissi“-Filmen und der weltweiten Popularität von „The Sound of Music“, erhielt das Dirndl ein neues Image – zwischen alpiner Fantasie und global vermarkteter Heimatästhetik. Ein Image, das heute noch wirkt.






Doch die Geschichte bleibt nicht stehen: Die industrielle Produktion, Versandhauskataloge, synthetische Materialien und globale Absatzmärkte haben das Dirndl zu einem ökonomischen Faktor gemacht – mit Produktionsstätten längst auch in Asien und einer Bandbreite, die vom exklusiv geschneiderten Couture-Stück bis zur Fast-Fashion-Variante reicht. Das Spannungsfeld zwischen handwerklicher Tradition und massenindustrieller Verwertungslogik bildet den Hintergrund für neue kreative Ansätze, die das Dirndl in Modekontexten neu denken. Entwürfe von Vivienne Westwood, Lena Hoschek, Noh Nee oder Lola Paltinger zeigen, wie das Kleidungsstück heute in High-Fashion-Kollektionen integriert, zitiert oder dekonstruiert wird – mal verspielt, mal politisch, mal avantgardistisch. Besonders eindrücklich ist dabei die Kooperation mit der Deutschen Meisterschule für Mode – Designschule München, deren Studierende das Dirndl aus unterschiedlichsten Perspektiven analysieren und in Form von interaktiven Installationen, KI-generierten Fotoreihen oder fiktiven Label-Entwürfen interpretieren.

Das Ergebnis: eine Ausstellung, die das Dirndl nicht als museales Relikt, sondern als lebendiges Textil zwischen kultureller Prägung und individueller Stilbehauptung begreift. Ein Höhepunkt: das original erhaltene Filmkostüm von Romy Schneider als „Sissi“ und ein Exemplar der Trapp-Familie aus ihrer amerikanischen Zeit. Wer sich durch diese Schau bewegt, begegnet nicht nur Stoff, Schnitt und Schleife, sondern einer Erzählung über Identität, Wandel und die Kraft eines Kleidungsstücks, das nie nur Mode war. Weitere Informationrn unter TIM Fotos: © Christoph Jorda (13) Bernhard Rampf (2)