Text: Gabi Czöppan
Ohne Superlativ geht es bei Damien Hirst nicht. In München zeigt der einstige Bad Boy der Londoner Kunstszene in seiner ersten Retrospektive in Deutschland nicht nur sein teuerstes, sondern auch gleich sein bisher größtes Kunstwerk: Es ist 10 000 Quadratmeter groß und prangt an der Hauswand eines Umspannwerks mitten in der Münchner Altstadt. Wie viele seiner „Spot Paintings“ ließ der 58-jährige Brite auch dieses stereotype Punktebild von anderen anfertigen. Zwei Monate lang sind Helfer auf einem Gerüst herumgeturnt, um die 540 Riesenpunkte an die Wand zu pinseln, jeden in einer anderen Farbe. Das Schönste daran ist: Das Mural, Hirsts erstes Outdoor-Bild, sieht man sogar vom Turm der Münchner Frauenkirche aus. So hat Hirst eine Art neuer Touristenattraktion für die Isar-Metropole geschaffen. Noch bis Herbst 2024 soll die Malerei im Hof des privaten Museums of Urban and Contemporary Art (MUCA) an der Wand bleiben und auch als Hingucker für Gäste des MUCA-Restaurants „Mural“. Wer dort speist, blickt von seinem Tisch aus direkt auf Hirsts Punkteraster.
Den eigentlichen Coup aber landete das MUCA mit Hirsts diamantenbesetztem Totenkopf. Der Platinabguss eines menschlichen Schädels, besetzt mit 8601 Diamanten, war der Hit in der Best-of-Show mit 40 Hirst-Werken aus 40 Jahren, die die Sammler Stephanie und Christian Utz wurde in ihrem Haus präsentiert. Der Bunker daneben gab den Ausschlag. Der Betonbau gehört zum Museum und überzeugte wohl auch die Versicherung. Denn allein der Materialwert des funkelnden Schädels, der uns an unsere Sterblichkeit erinnern soll, liegt bei geschätzten 20 Millionen Euro.


Den Juwelenkopf mit echten menschlichen Zähnen stellte Hirst erstmals 2007 in einer Londoner Galerie aus. Er sollte umgerechnet 75 Millionen Euro kosten, damals ein Weltrekord für ein Kunstwerk. Als sich kein Käufer fand, mobilisierte Hirst eine Gruppe von Investoren, die die Summe zahlten. An dem Konsortium, das den Schädel seitdem immer wieder ausstellt und zum Kauf anbietet, ist der Künstler selbst beteiligt. Hirst kann es sich leisten. Sein Vermögen wird auf bis zu einer Milliarde Euro geschätzt. Das Marketing-Genie Hirst leugnet den Besitz bis heute, doch fördert jede Ausstellung des edlen Kopfes den Run auf seine Kunst. Meterdicke Wände, schwarze Vorhänge, ein dunkler Raum, Lichtspots auf Panzerglas: Wer ein Zeitfensterticket für den Besuch im Bunker ergatterte, zückt gern das Handy für ein Selfie davor. Der Titel dafür stammt von Hirsts Mutter. „For the Love of God, what are you going to do next?“ Übersetzt: „Um Himmels willen, was stellst du jetzt wieder an?“ Mit diesen Worten soll sie ihn ständig ermahnt haben.


Die Münchner Mini-Retrospektive „The Weight of Things“ haben Hirst und sein Studio selbst kuratiert. Am Eingang steht ein kitschiges Pegasus-Pferd. Die geflügelte Skulptur „Legend“ fasziniert auf der einen Seite in blütenreinem Weiß, auf der anderen Seite irritieren blutrot und goldfarben freigelegte Knochen, Sehnen und Muskeln. Im Innern des Museums zeigt Hirst auf drei Etagen, wie strategisch er in seinen Werken stets auf Trends reagiert hat. Es gibt natürlich einen in Formaldehyd eingelegten Hai zu sehen, die berühmten Spin-Paintings, Aschenbecher- und Zigarettenstummel-Skulpturen des einst exzessiven Rauchers, Medizinschränke mit Tabletten und menschlichen Skeletten, Schmetterlingsbilder, träumerische Kirschblüten-Gemälde und frühe, bewegte Installationen. In „The Fragility of Love“ ließ er 2000 eine Windmaschine bauen, die einen Wasserball ganz nah über bedrohlich scharfe Messerspitzen in die Luft bläst. Das ist ein schönes Bild für die Aufs und Abs in Hirsts Karriere, der in jungen Jahren keinen Alkohol-, Drogen- oder Partyexzess ausließ.


Nur Hirsts jüngste NFT-Werke fehlen. Dafür sind zwei Skulpturen seines fiktiven Meeresabenteuers „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ ausgestellt. Die Schatzsuche am Meeresgrund hat angeblich Hirsts Sammler Françoise Pinault finanziert. Ihm gehört der Palazzo Grassi in Venedig, wo Hirst 2017 die Schätze in einer monumentalen Schau zeigte. In München wirkt die mit künstlichen Korallen bedeckte Aluminiumfigur „Recovering Mickey“ etwas angestaubt. Aber auch das ist wohl pure Absicht. Die Schau „Damien Hirst The Weight of Things“ im Museum of Urban and Contemporary Art (MUCA) ist die erste Solo-Schau des Briten in Deutschland und ist bis Herbst 2024 zu sehen. Weitere Informationen unter www.muca.eu
Fotos: Installation View, Damien Hirst: The Weight of Things at the Museum of Urban and Contemporary Art (MUCA), 2023. Photographed by Prudence Cuming Associates Ltd. © Damien Hirst and Science Ltd. All rights reserved, DACS/Artimage 2023, PR MUCA